Museum der Geschichts Taiwans
Als wir am Bahnhof aussteigen, müssen wir noch ein Stück zum Museum zurücklegen. Wir wollen es mit den Rädern versuchen, der Weg ist eigentlich nicht weit. Aber schnell stellen wir fest, dass auch das nicht geht. Wir lassen die Räder stehen, nehmen unsere Packtaschen ab und rufen uns ein Uber. Es nieselt, der Wind pfeift und es ist so kalt. Hoffentlich ist das Museum gut beheizt. Dass dies nicht immer so ist, mussten wir bereits in Riga einmal schmerzlich erfahren, als wir uns komplett klitschnass in ein Museum zum Aufwärmen gerettet haben, das aber leider komplett runtergekühlt war.
Das Museum und der Komplex sind riesig, wir kaufen zwei Tickets und müssen uns drinnen erstmal sortieren. Unsere Packtaschen mussten wir natürlich mitnehmen. Da es keine richtige Garderobe gibt, bekommen wir einen alternativen Platz zugewiesen. Wir kramen unsere Daunenjacken heraus, Konsti nimmt eine Schmerztablette und irgendwann sind wir dann soweit: Ab ins Museum. Wir nehmen euch mal ein bisschen mit in Taiwans Geschichte. Wen das nicht interessiert, überspringt den Teil gerne. Ansonsten: Lehnt euch zurück, macht es euch mit einer Tasse Tee bequem und freut euch auf eine Stunde Geschichte mit Konsti, Caro und Taiwan. Es wird etwas ausführlicher, aber genau diese Geschichte ist für die heutige Identität und die aktuelle politische Situation in Taiwan super wichtig zu verstehen.




Der Ursprung Taiwans
Obwohl wir uns vorab schon etwas auf das Land eingestimmt haben, wissen wir quasi nichts über die ersten Siedler:innen und die ältere Geschichte des Landes. Im Vordergrund der Dokus stand fast immer die jüngere Geschichte und die Rolle Chiang Kai-Sheks und der Nationalisten.
Das Museum beginnt aber mit dem Ursprung der Menschen auf Taiwan. Genaue Belege zu den ersten Besiedlungen gibt es nicht, dafür aber ein paar mögliche Theorien. Unter anderem geht man davon aus, dass die ersten Siedler:innen Fischer waren, die auf die damals noch anders geformte Insel kamen und sich kleine Hütten bauten. Eine andere Theorie besagt, dass Taiwan früher noch eine direkte Landverbindung zum asiatischen Kontinent hatte und von dort vor über 20.000 Jahren die ersten Menschen diesen Landteil besiedelten. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass sich im Lauf der Zeit immer wieder chinesische Fischer, Händler oder Seeräuber auf Taiwan aufhielten, die erste große Einwanderungswelle und dauerhafte Besiedlung von China aus erfolgte jedoch erst Anfang des 17. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Niederländer.
Europäische Mächte in Taiwan
Im Jahr 1517 entdeckten die Portugiesen die Insel, welche sie Ilha Formosa tauften. Für die nicht Portugies:innen unter euch: Das bedeutet so viel wie „Schöne Insel“. Der Name hat sich übrigens bis heute gehalten und findet sich immer mal wieder in Taiwan. 1624 besetzten die Niederlande den Süden der Insel und machten Tainan zur Hauptstadt. 1626 eroberten Spanier den Norden, wurden aber 1641 von den Niederländern wieder verdrängt. Der Einfluss der niederländischen Kolonialverwaltung auf die Kultur der indigenen Völker war beträchtlich: Durch die christliche Missionierung wurden die mythologischen Vorstellungen der traditionellen Lebensformen umgekehrt.
Königreich Dongning
Als sich auf dem chinesischen Festland das Ende der Ming-Dynastie abzeichnete, floh der Ming-Loyalist Zheng Chenggong 1661 mit 35.000 Soldaten in 400 Dschunken nach Taiwan. Dort hoffte er eine neue Ausgangsbasis für die Rückeroberung Chinas aufbauen zu können. Seine Truppen belagerten 9 Monate lang den holländischen Hauptstützpunkt Fort Zeelandia. Dieser kapitulierte 1662. Damit endete die Kolonialzeit der Niederländer. Es wurde das „Königreich Dongning“ eingeläutet.
Qing-Dynastie
1682 übernahm die Qing (nicht zu verwechseln mit King) Dynastie die Macht. Sie stellte die Insel erstmals unter die Kontrolle Festland-Chinas, gab ihr 1684 den Status einer Präfektur der Provinz Fujian, wurde aber weitestgehend unbeachtet gelassen. Die Han-Chinesen verbreiteten ihre chinesischen Lehren, die Kinder wurden fortan nicht nur in chinesischer Sprache sondern auch in chinesischer Kultur unterrichtet. Die Menschen wurden gezwungen mandschurische Haarschnitte und Kleidung zu tragen. Buddhismus und Konfuzianismus wurden eingeführt und das Christentum (welches vorher durch die Holländer verbreitet wurde) weitestgehend verdrängt. In dieser Zeit besiedelten die Han-Chinesen vor allem den Westen der Insel. Der östliche Teil und damit der bergige Teil wurde weitgehend in Ruhe gelassen und ein Kontakt zu den Indigenen, die dort lebten, verboten. Daran lässt sich allerdings gut erkennen, weshalb die großen Städte Taiwans auch heute noch hauptsächlich im Westen liegen und der Osten nicht so dicht besiedelt ist.


Eiskalte Geschichte
Natürlich ist es im Museum kalt. Jetzt könnte man natürlich sagen, dass wir nass und durchgefroren empfindlich sind und unsere Laune heute sowieso keinen Höhepunkt erreicht, aber wir sind nicht die einzigen, die mit dicker Jacke hier herumspazieren. Irgendwann kommt noch die Müdigkeit hinzu und wir legen eine Kaffeepause ein. Ein heißer Americano bewirkt Wunder. Danach geht es wieder zurück ins Museum und weiter mit der Zeit der japanischen Besetzung von Taiwan.
Taiwan unter Japan
Nach dem Ende des ersten chinesisch-japanischen Krieges 1894/95, der eigentlich absolut nichts mit Taiwan zu tun hatte oder hier stattfand, musste China die Insel im Vertrag von Shimonoseki an Japan abtreten. Die gegen den Vertrag protestierende Bevölkerung gründete mit der „Demokratischen Nation Taiwan“ eine unabhängige, Qing-loyale Republik. Die Japaner schlugen diese erste Republik nach 184 Tagen nieder und begannen eine 50-jährige Kolonialherrschaft (1895–1945). Sie verfolgten eine systematische wirtschaftliche Erschließung Taiwans. Es wurden Straßen und Eisenbahnen gebaut, Schulen und Polizeistationen errichtet und sie zwangen, insbesondere die indigene Bevölkerung, zu einer nach japanischen Vorstellungen „ordnungsgemäßen“ Lebensweise. Besonders die Bildung hatte einen hohen Stellenwert, was natürlich auch für die Menschen einen großen Vorteil mit sich brachte. Die Kritik daran: Es wurde viel japanische Kultur und Verhaltensweisen vermittelt. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Männer der indigenen Stämme in die japanische Armee eingezogen. Außerdem wurde die Insel Ziel alliierter Bombenangriffe. Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieges übergab Japan Taiwan an die Republik China.
Taiwan als Republik China
Fortan wurde die Insel von Kuomintang Truppen besetzt. Doch die Verwaltung war korrupt und die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich innerhalb kürzester Zeit. Die Kuomintang errichteten ein Monopolamt, wogegen die Bevölkerung nach einem gewalttätigen Zwischenfall mit einer Straßenverkäuferin protestierten. Das Kriegsrecht wurde verhängt und den Aufständischen gelang es, zum Teil die Kontrolle über die Insel zu gewinnen. Allerdings schlugen die Kuomintang nur wenige Wochen später hart und brutal zurück. Bei dieser Gewaltwelle, die heute „Weiße Terror“ genannt wird, kamen schätzungsweise 30.000 Menschen zu Tode. Im April 1947 wurde die Militärregierung durch eine zivile Regierung abgelöst, der auch Einheimische angehörten.
Chiang Kai-shek
1949 bildete Taiwan den Rückzugsort für 1,2 Millionen Anhänger der Kuomintang unter Chiang Kai-shek nach der Niederlage gegen die Kommunisten auf dem Festland, die infolgedessen die Volksrepublik China ausriefen. Taiwan wurde somit, neben zahlreichen kleineren Inseln, zum alleinigen Hoheitsgebiet der Republik China. Die Kuomintang beherrschte das Land bedingt durch die besondere Konstruktion des Parlaments bis 1992 als Einheitspartei. Zusammen mit Hunderttausenden Soldaten der Kuomintang-Armee kamen auch zahlreiche Angehörige der ehemaligen Elite der alten Republik China, darunter auch viele Wissenschaftler, Ingenieure und Intellektuelle, nach Taiwan. Diese bildeten die neue gesellschaftliche Elite Taiwans und waren ein entscheidender Faktor beim schnellen Aufstieg Taiwans vom armen Agrarland zum modernen Industriestaat in den folgenden Jahrzehnten. Trotz des repressiven politischen Regimes, das durch die allgegenwärtige Angst vor einem kommunistischen Umsturz motiviert war, veranlasste die Kuomintang-Regierung wichtige wirtschaftliche und soziale Reformen, die die Entwicklung des Landes voranbrachten. Anfangs waren die industriell hergestellten Exportgüter Textilien und einfache Plastikprodukte, später dann Chemieprodukte, Fahrräder etc. und zuletzt hochkomplexe Produkte wie Halbleiter und Computerzubehör. Dafür ist Taiwan, wie ihr sicher wisst, ja heute bekannt. Auch dies ist sicher ein Grund, warum China ein so großes Interesse an der Insel hat.


Der Wunsch nach Demokratie
Nach dem Tod Chiang Kai-sheks wurde sein Sohn Staatspräsident. Es erfolgte eine zunehmende innenpolitische Liberalisierung und oppositionelle Forderungen nach einer Reform des politischen Systems wurden immer präsenter. Parallel dazu geriet der Staat in eine schwere außenpolitische Krise, nachdem die Republik China in Folge der Resolution 2758 der UN-Generalversammlung 1971 zugunsten der Volksrepublik China aus den Organisationen der Vereinten Nationen herausgedrängt worden war und 1979 sogar die Vereinigten Staaten, die langjährige Schutzmacht Taiwans, diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China aufgenommen und die offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen hatten. Die VR China schreibt nämlich die sogenannte Ein-China-Politik vor: Wer diplomatische Beziehungen zu China haben möchte, kann dies eben nur zu einem China und muss sich entscheiden. Innere Reformen wurden notwendig. Zur stärksten Oppositionspartei entwickelte sich schnell die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die eine vollständige Demokratisierung Taiwans forderte und im Unterschied zur Kuomintang das Wiedervereinigungsgebot mit dem chinesischen Festland ablehnte. 1991 wurde eine neue Nationalversammlung demokratisch gewählt. 1992 fand die erste freie und allgemeine Parlamentswahl in Taiwan statt. Spätestens ab 2000 kann Taiwan, aufgrund der Wahl des ersten nicht zur Kuomintang gehörigen Präsidenten Chen Shiu-bian, als vollständig entwickelte Demokratie bezeichnet werden. Generell entwickelte sich, insbesondere seit dieser Zeit eine immer stärker werdende eigene Identität der Menschen. Heute ist Taiwan auf Platz 10 des Demokratie Index des Economist (Stand 2023). Deutschland ist by the way auf Platz 12.
So ihr habt es geschafft. Die Geschichtsstunde wird hiermit erstmal abgehakt. Wir hoffen, es war einigermaßen verständlich formuliert und ihr seid zwischenzeitlich nicht eingenickert.


Ab nach Tainan
Unser Hotel liegt direkt neben dem Bahnhof, das ist wirklich praktisch. Erstmal wird heiß geduscht und dann wollen wir uns noch auf eine kleine Erkundungstour durch die Stadt begeben, gehen ist für Konsti weniger schmerzhaft und nur im Hotelzimmer hocken ist gerade keine wirkliche Option. Wir laufen etwas durch die Stadt und steuern einen Laden mit einer großen Variation an Buns an. Die Buns werden direkt hinter einem Schaufenster von Hand hergestellt. Es gibt verschiedenste Sorten und Füllungen. Neben einem Shop gibt es auch ein Verkaufsfenster, an dem frisch gedämpfte Buns aus Bambuskörben direkt in die hungrigen Hände der Kundschaft wandern. Da wir uns nicht entscheiden können, nehmen wir direkt vier verschiedene Sorten und testen uns einmal durch: Pilz, Pilze mit Trüffel, Bohnen und schwarzer Sesam. Alle sind köstlich und vor allem Caro liebt diese gedämpften Brötchen, die sie sehr an Germknödel erinnern. Auf der gleichen Straße entdecken wir eine kleine, sehr sehr schmale Gasse, die zu einem Café führt. Da besteht nach den Buns auf jeden Fall Feststeckungs-Gefahr.






Konfizius sagt..
.. es ist nicht wichtig, wie langsam du gehst, sofern du nicht stehen bleibst.
Na das nehmen wir uns erstmal zu Herzen. Wenn schon nicht mit dem Rad, dann setzen wir unsere Rundreise mit Bahn und zu Fuß weiter. Ein paar Tage zum Verdauen wird es trotzdem noch dauern. Jetzt statten wir aber erstmal Konfuzius einen Besuch ab. Der Konfuzius Tempel wurde 1665 gebaut. Neben einem Tempel gehört auch eine Nationalakademie zum Gelände. Hier hielten Lehrer Vorträge und bildeten Intellektuelle aus. Die Anlage von Wen Miao ist die erste ihrer Art in der Geschichte Taiwans, wird daher als Erste Akademie Taiwans bezeichnet.





Hayashi Department Store
Ab ins Kaufhaus. Aber ihr kennt uns, zum Shoppen sind wir sicher nicht hier. Es handelt sich nämlich hierbei nicht um eine 0815 Kaufhof oder Karstadt Quelle Filiale, sondern um ein leicht extravagantes und zu seiner Zeit hochmodernes Kaufhaus, welches selbst einen eigenen Wikipedia Eintrag vorweisen kann. Das können wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Genauso wenig wie (mal wieder) einen Auszug aus Wikipedia aufzuführen: Das fünfstöckige Gebäude wurde ursprünglich 1932 während der japanischen Herrschaft eröffnet. Es verfügt über einen damals hochmodernen Aufzug. Mittlerweile wurde es renoviert und restauriert. Der Charme von damals ist dabei erhalten geblieben, sodass es auch heute noch zahlreiche Besucher:innen anzieht. Ein stylischer, alter Aufzug, große, dunkle Holztheken, kleine dunkelgrüne Tischlampen und ein kleiner Tempel auf dem Dach des Kaufhauses. In verschiedenen Bereichen gibt es unterschiedliche Verkaufsstände. Stylische Kleidung, Kulinarik aus dem gehobenen Segment, coole und stylische Kleinigkeiten. Natürlich brauchen wir nichts davon. Weiter geht’s.





In Schneckengeschwindigkeit zur Snail Alley Wir lassen uns gemütlich durch die Straßen treiben, besorgen für Konsti noch die taiwanesische Form des Voltaren-Schmerzgels, machen kurz eine Kaffeepause an der Straße und spazieren weiter.




Unser Ziel: die Snail Alley. Die kleine und ruhige Nebenstraße ist voll von kleinen Geschäften, Cafés, Restaurants und einem süßen Buchladen. Und tatsächlich sichten wir überall kleine Schnecken-Figuren. Manche fallen direkt ins Auge, andere sind fast schon versteckt. Uns gefällt es hier richtig gut. Außer uns sind quasi keine Menschen hier. Ab und zu fährt mal ein Rollerfahrer an uns vorbei. Zu gerne würden wir uns von Café zu Café und von Bar zu Bar schlendern. Wir spazieren aber immer weiter und steuern dann wieder das Hotel an.











Langsam sind wir müde und auch Konstis Knie macht sich bemerkbar. Ganz gemütlich genießen wir unser 7eleven Abendessen im Hotelzimmerbett. Viel passiert heute nicht. Morgen früh geht es mit dem Zug weiter. Ein kleines Stück weiter Richtung Süden nach Kaohsiung.