Hallo – Santa Ana – Tschüss. Das wird euch in diesem kurzen Artikel erwarten. Leider hatten wir in El Salvador nur kurz Zeit, dennoch wollten wir es uns nicht nehmen lassen, dem ehemals gefährlichsten Land der Welt einen Besuch abzustatten. Denn genau diese Schlagzeile und die dazugehörige aktuelle politische Situation ist fast alles, was man zu diesem Land im Internet findet. Wo wir gerade beim Thema sind..
Hallo El Salvador
Wahnsinn, wie ein so kleines Land so gefährlich sein kann. Wir schauen uns ein paar Dokus an und hören von Bandenkriminalität, Korruption, zahlreichen Tötungen von Zivilist:innen, die hier an der Tagesordnung standen. Über Jahrzehnte war die Lage unverändert furchtbar, an eine Reise ins Land wäre, zumindest für uns, nicht denkbar gewesen. Doch dann änderte sich alles mit dem neuen Präsidenten Bukele, der mithilfe des Militärs einen Wandel schaffte und so ziemlich alles und jeden hinter Gitter brachte. Doch schon bei der Weltspiegel Dokumentation wird auch die Kehrseite der Medaille gezeigt, denn es gibt Kritik von anderen Ländern und Menschenrechtsorganisationen. Die Verhaftungen seien oft wahllos, es gäbe keine Gerichtsprozesse und menschenunwürdige Haftbedingungen. Hm, das scheint ein zweischneidiges Blatt zu sein. Wir sind sehr gespannt, was wir von dieser Situation mitbekommen und ob darüber überhaupt gesprochen wird. Der Tourismus ist seitdem jedenfalls auf dem aufsteigenden Ast und El Salvador soll problemlos zu bereisen sein.
Wir haben die Hoffnung, dass es etwas weniger touristisch als in Guatemala wird und vielleicht auch etwas kostengünstiger. Und endlich sind wir im originären Land der Pupusas. Egal wie kurz wir hier sind, Pupusas stehen auf jeden Fall auf unserem Programm.
Und sonst? Eigentlich gar nicht so viel. Wir haben uns entschieden, lediglich in Santa Ana einen Halt einzulegen, damit wir hier ein paar Nächte verbringen können. Santa Ana ist zwar nicht die Hauptstadt, soll aber eine schöne Altstadt haben und manche behaupten, dass es sogar die schönste Stadt hier im Land sein soll. Außerdem können wir von hier aus einen Ausflug zum Santa Ana Vulkan machen, den wir uns nicht entgehen lassen wollen. Wir hoffen, dass wir uns trotz der kurzen Zeit einen kleinen Eindruck vom Land machen können. Und wir hoffen, dass wir es nicht bereuen, nur so kurz hier gewesen zu sein.
Alles beginnt an der Grenze
Wir haben mal wieder eine Landesgrenzen-Querung vor uns. Als wir an der Grenze ankommen, haben wir bereits einige Stunden im verschiedensten Chicken-Busses hinter uns, sind dreimal durchgeschwitzt und müssen beide auf die Toilette. Passend zum Reisetag macht Konstis Bauch Faxen und eine Toilette wäre jetzt langsam notwendig. Es klappt alles unproblematisch und obwohl wir in El Salvador erst etwas ’streng‘ in Empfang genommen werden und der Grenzbeamte sogar die Buchungsbestätigung unseres Hostels sehen möchte, ist er am Ende super nett und freundlich. Er spricht perfektes Englisch und erklärt uns sogar noch, von wo die Busse für die Weiterfahrt abfahren. Wir sind positiv überrascht. Noch überraschter sind wir allerdings von den Toiletten. Ja, diesen Toiletten müssen wir zwei Sätze widmen (und allein, dass wir uns diesen Platz nehmen, gibt euch vielleicht eine Vorstellung davon, wie Toiletten sonst oft aussehen). Sie sind richtig modern, total sauber und es gibt sowohl Seife als auch Klopapier. Jackpot. Zur kurzen Einordnung: Die Toiletten sind hier aber auch das einzige, was so modern und sauber ist.
Sardinenbus
Danach geht’s weiter. Ab in den nächsten Bus, der sich während der Fahrt immer weiter füllt. Wir müssen einen kleinen Umweg fahren und ein weiteres Mal umsteigen. Das vierte Mal heute. Und dann wird es richtig voll. Die Sitzbänke, die unseres Erachtens eigentlich für zwei Personen ausgelegt sind, werden mit drei Personen besetzt. Von einer Angestellten werden wir freundlich (es war alles andere als freundlich) darauf hingewiesen, dass wir für unsere Rucksäcke nicht gezahlt hätten und die aktuell einen Platz zu viel besetzen. Das führt unweigerlich dazu, dass wir sowohl die kleinen als auch den großen Backpack auf dem Schoß bugsieren. Damit verschließt sich nun auch die letzte Frischluft-Schleuse sowie jegliche Bewegungsfreiheit. Wie lange müssen wir nochmal mit dieser XL Sardinenbüchse fahren? Zu lang ist die einzig akzeptable Antwort auf diese Frage. Neben Caro sitzt ein kleiner Junge, der nimmt prinzipiell ja weniger Platz weg als eine erwachsene Person. Allerdings verfällt der kleine Mann in einen Dornröschen-Schlaf und liegt dabei so blöd unter Caros Achsel, dass sie ihren Arm nicht mehr herunter sinken lassen kann. Warum man in Nähe der Achsel überhaupt ein Auge zumachen kann – wir wissen es nicht. Naja. Die Fahrt ist einfach kacke. Wir sind mehr als froh, als wir endlich ankommen. Aber wo genau kommen wir eigentlich an? Natürlich nicht an der richtigen Haltestelle, sondern noch ein paar Meter weiter außerhalb am Straßenrand. Worauf hätten wir jetzt mehr Lust, als mit dem Gepäck ne halbe Stunde zu laufen? Aber alles ist besser als dieser Sardinenbus und schließlich regnet es nicht. Also stiefeln wir los und sind mehr als froh, irgendwann endlich am Hostel anzukommen. Es ist später Nachmittag als wir endlich ankommen.
Eine Sache, die uns direkt neben dem Hostel auffällt und was wir während der Busfahrt schon ein paar Mal gesehen haben: Auto-Hotels.

Handelt es sich dabei um das, was wir denken?! Naja egal, erstmal einchecken.
Toiletten-Situation die erste
Das Hostel ist ganz süß, sehr modern und auch sauber. Wir haben sogar ein Doppelzimmer mit Tageslicht.


Was will man mehr? Kleiner Spoiler: Kein geteiltes Bad mit der Zimmernachbarin. Das Konzept hatten wir bisher noch nicht, aber wir bemühen uns, es bestmöglich im Worte zu fassen. Direkt von unserem Zimmer haben wir Zutritt zu einem Badezimmer mit WC und Dusche. Unsere Nachbarin ebenso, nur von der anderen Seite. Jede der beiden Türen hat zwei Schlösser. Jeweils von einer Seite. Wenn wir ins Bad wollen und es frei ist, öffnen wir das Schloss auf der Seite unseres Zimmers, öffnen die Tür und schließen die Badezimmerseite der Nachbarin ab. So sind wir im Bad und die kann nicht hereinkommen. Beim Verlassen öffnen wir ihre Türe und schließen unsere wieder ab. Einfaches System.

Möchte man meinen. Denn nachdem wir ankommen, stellen wir fest, dass unsere Tür abgeschlossen ist und wir nicht herein kommen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Bad von ihr aktuell besetzt ist. Oooder: sie hat vergessen unsere Tür zu öffnen und ist eigentlich nicht da, obwohl sogar das Licht an ist. Ratet mal. Nachdem wir 20 Minuten gewartet haben, fragen wir beim Angestellten nach, ob es vielleicht eine zweite Toilette gibt. Nope. Aber er weiß, dass unsere Nachbarin außer Haus ist und wahrscheinlich lediglich vergessen hat, wieder aufzuschließen. Er öffnet uns die Tür. Die Tür zu ihrem Zimmer ist sperrangelweit geöffnet, ihre gewaschene (hopefully) Unterwäsche hängt überall und das Licht ist an. Schon jetzt ahnen wir, dass sie das Konzept vermutlich noch nicht durchblickt hat. Egal, Hauptsache wir können schnell duschen und auf Toilette gehen. Danach verschließen wir selbstverständlich wieder alles ordnungsgemäß. To be continued..
Pupusa Premiere – das Original
Nach der Dusche wollen wir einen kleinen Abstecher in die Stadt machen, Geld abheben und im Anschluss Pupusas essen gehen. Heute haben wir, trotz Küche, keine Lust zu kochen. Der Hauptplatz sieht wirklich schön aus, es sind viele Menschen unterwegs, überall stehen Stände zum Essen und die Gebäude werden mit zahlreichen Strahlern angeleuchtet. Fast schon ein bisschen zu viel. Wir heben Geld ab und machen noch einen kurzen Abstecher zum Supermarkt, wo wir uns mit ein paar Snacks für morgen eindecken. Danach gehen wir schnurstracks zurück Richtung Unterkunft. Direkt an der Ecke haben wir eben eine Art Garagen-Restaurant gesehen, die Pupusas verkaufen. Jetzt ist noch viel mehr los, alle Tische sind voll besetzt und immer wieder kommen Leute die Bestellungen abholen. Das ist ja prinzipiell erstmal ein gutes Zeichen. Wir bestellen uns eine bunte Mischung aus vegetarischen Pupusas und müssen uns dann etwas in Geduld üben. Aber es lohnt sich. Besonders die Knoblauch-Käse-Variante ist sehr überzeugend. Dazu gibt es eine Art gepickelten Krautsalat und eine dünnflüssige Tomatensalsa, die etwas scharf ist. Gut gesättigt und zufrieden gehen wir zurück zur Unterkunft.




Toiletten-Situation, die Zweite
Wir planen unseren morgigen Tag und vernehmen währenddessen, dass das Bad besetzt ist. Na gut, man kann ja auch mal warten. Wir warten, warten und warten. Wir sind echt müde, müssen eigentlich auf Toilette und wollen unsere Zähne putzen. Nach einer halben Stunde klopfen wir einmal vorsichtig an der Tür. Es wird zurück geklopft, aber nicht geöffnet. Wir warten weiter und weiter. Klopfen nochmal. Dann gehen wir irgendwann zur Rezeption und fragen nochmal nach. Die Frau öffnet die Toilettentür, aber von innen wird sie wieder zugedrückt und „nooo“ gerufen. Da ist jemand immer noch nicht fertig. Was zur Hölle kann man so lange (wohlbemerkt ohne zu duschen) im Bad machen? Und wie wenig rücksichtsvoll kann man sein? Irgendwann, nach über 45 Minuten können wir dann doch ins unter Wasser gesetzte Bad. Wir machen uns schnell fertig.

Hauptsache morgen früh stehen wir nicht vor dem gleichen Problem, da müssen wir nämlich zeitig los. Tatsächlich haben wir morgens kein Problem. Wahrscheinlich aber nur deshalb nicht, weil unsere Nachbarin noch schläft.
Vulkan Santa Ana
Heute wollen wir zum Santa Ana Vulkan fahren und dann auf den Gipfel wandern. Wir entscheiden uns für die Anreise mit dem Chickenbus und treffen dabei auf ein italienisches Pärchen, das ebenfalls mit uns im Hostel wohnt. Wir kommen beim Frühstück, welches aus Rührei, Bohnenmus, einem Stück weißem Käse, einem Stück Brot und einer Banane besteht, ins Gespräch.

Wir steigen in den Bus und sind erstmal fast zwei Stunden unterwegs. Anders als wir es erwartet hätten, sind wirklich viele Tourist:innen mit uns im Bus. Als wir ankommen werden wir alle hinaus geschleust. Wir haben es schon gelesen, um einen Guide kommen wir hier nicht drumherum. Eigentlich wollen wir uns danach im Anschluss von der Gruppe absetzen, um etwas alleine zu gehen. Der Plan wird nicht aufgehen. Es ist viel los, insgesamt sind ebenfalls mehrere Gruppen unterwegs und wir können erst gemeinsam mit unseren beiden Guides starten. Eine geht vor, die andere bildet das Schlusslicht. Hm naja, das haben wir uns etwas cooler vorgestellt. Die Strecke verläuft etwas durch den Wald, bevor es sich lichtet. Dann schauen wir auf die Umgebung, leider ist es Mal wieder Recht diesig.




Dafür ist die Wanderung nicht allzu anstrengend und wir sind nach etwas mehr als einer Stunde oben. Dafür hat sich der Weg tatsächlich gelohnt. Wir können in den rauchenden Krater werden, das Innere sieht wirklich beeindruckend aus. Ein paar süße Hunde sind ebenfalls hier oben. Wir machen ein paar Fotos, stärken uns mit einem Snack und machen uns dann mit dem italienischen Pärchen wieder auf dem Rückweg.







Jetzt ist das Zusammenbleiben der Gruppe anscheinend egal. Naja, wir wollen unbedingt den Bus um 13 Uhr zurück bekommen. Wir quatschen noch ein bisschen mit den anderen und lassen uns ein paar Tipps für Honduras geben.
Gegen Nachmittag sind wir zurück. Leider zu spät für die Freewalkingtour, die wir unbedingt machen wollen. Wir gehen erstmal duschen – das Bad ist erfreulicherweise wieder frei – und schlendern dann ein weiteres Mal in die Stadt. Wir müssen einkaufen, was sich mal wieder als langwieriger herausstellt. Ansonsten planen wir, was wir mit unserem letzten Tag morgen anstellen sollen. Zur Wahl steht eine coole Wasserfall-Tour oder eben die Freewalkingtour. Günstiger und einfacher ist die Freewalkingtour. Für diese entscheiden wir uns, schließlich haben wir noch ein paar offene Fragen und erhoffen uns eine Antwort auf die ein oder andere. Der Abend wird also recht entspannt, es gibt mal wieder Nudeln mit Tomatensoße.
Freewalkingtour à la „El Salvador“
Nach einem Frühstück machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Treffpunkt ist das Teatro in Santa Ana am zentralen Platz der Stadt. Wir sind mal wieder überpünktlich. Unser Guide kommt etwas zu spät, aber das Schlusslicht bildet ein amerikanisches Duo, auf das wir ganze 20 Minuten warten. Naja, kann ja mal passieren 😉


Unser Guide ist Fatima eine junge El Salvadorianerin, die wir auf Mitte 20 schätzen. Sie bietet diese Touren unabhängig an und wir hatten ihren Kontakt von unserem Hostel. Neben den beiden Amis ist noch ein Paar aus den Niederlanden dabei.


Wir starten mit der Kirche von Santa Ana, dessen Front in ein helles und strahlendes Weiß getaucht ist. Schon gestern Abend waren wir etwas beeindruckt von dem tut gepflegten und strahlendem Gebäude. Aber.. dahinter verbirgt sich etwas mehr Schein als Sein. Der hintere Teil der Kirche ist noch nicht restauriert und beim näheren Betrachten sehen wir komplett unverputzte Backsteinwände mit bröseligen Strukturen. Wir bekommen erklärt, dass aktuell einfach nicht ausreichend Geld in die Restauration fließt und die Fertigstellung sicher noch lange dauern wird.





Die Prioritäten werden aktuell anders gesetzt, bekommen wir erzählt. In der Kirche selbst zeigt unser Guide uns eine Jesus Figur der etwas anderen Art. Es ist zwar nicht das Original (dieses ist in Mexiko zu sehen), aber auch hier ist die dunkle Hautfarbe der Jesusfigur sehr präsent. Der Gedanke dahinter – die Menschen wollten somit eine Jesus-Figur erschaffen, mit der sich die indigene Bevölkerung besser identifizieren kann. Schließlich ist das Christentum erst mit den Europäern nach Zentral- und Südamerika gekommen und wollte hier seine Anhängerschaft und den Glauben an Gott verbreiten. Auf den ersten Blick erscheint es etwas ungewöhnlich, aber wollen wir ehrlich sein. Wahrscheinlich liegen wir mit diesem Farbton wesentlich näher am Original, als mit dem hellen Beige in den europäischen Jesus-Darstellungen. In der Kirche gibt es noch ein paar Schutzpatronen, die für bestimmte Anliegen der Menschen aufgesucht werden. Zum einen ist besonders eine Schutzpatronin für die Kinder und Neugeborenen sehr gefragt, seht es uns nach, dass wir den Namen nicht mehr wissen.. Die Menschen kommen dann mit Fotos der Kinder hierher, hängen diese, manchmal mit Wünschen versehen, an die Figur und spenden oft etwas Geld oder bringen Blumen mit. Tatsächlich gibt es sogar einen Schutzpatron für Tiere. Hier sehen wir ein kleines Foto von einem weißen Hasen, süß. Bei Interesse kann die Kirche auch von oben besichtigt werden, dafür muss etwas extra gezahlt werden. Wir entscheiden uns stattdessen unten zu bleiben und ein bisschen das wilde Tauben-Treiben auf dem Vorplatz zu beobachten.



Danach lassen wir ein bisschen durch die Straßen treiben. Fatima berichtet uns von riesigen Avocados und den vielen Mandelbäumen, die hier einfach an der Straße stehen und an denen man sich angeblich einfach bedienen kann. Aktuell sind die Früchte allerdings noch sehr grün und unreif. Das alte Kino wirkt ziemlich ausgestorben und wir merken, dass außerhalb des Hauptplatzes viele Gebäude un- und abgenutzt wirken. Während wir eine absolut unscheinbare Straße hinunter gehen, bekommen wir erzählt, dass man hier früher nicht hätte entlang laufen können. Die Straße war in der Hand von Gangs, die die Menschen ausgeraubt haben: Geld, Handys, Schmuck und sogar Schuhe. Tote soll es hier auch gegeben haben.






Das ist für uns so schwer vorstellbar, aber das ist noch nicht alles, was wir über das frühere Leben in El Salvador erfahren. Wir steuern ein Café an, in dem leider gerade die Kaffeemaschine nicht funktioniert.


Perspektivwechsel
Wir setzen uns in ein Hinterzimmer und dann fängt Fatima an zu erzählen: Sie beginnt von ihrem früheren Leben zu erzählen, dem früheren Leben aller El Salvadorianer:innen. ihrer Kindheit. Oft waren sie und ihre Schwester Zuhause und sind kaum heraus gegangen. Ihr Vater hat ihr früher stets immer wieder gepredigt, dass die einen großen Bogen um die bösen Menschen machen muss, ihre Oma hat ihr in der Teenagerzeit gesagt „Bringe uns keinen Kriminellen ins Haus.“ Nach Sonnenuntergang war es undenkbar, vor die Tür zu gehen, für die Kinder aber auch für die Erwachsenen. Der Mord, die Hinrichtung und der Tod gehörten zum Alltag. Jeden Tag starben viele Menschen – tagsüber, auf der Straße, im Bus. Die Gangs überfielen Busse und Geschäfte, Inhaber von Geschäften mussten Schutzgeldzahlungen leisten. Die Gangs warben junge Leute und Kinder an, bei ihnen mitzumachen. Sie lockten mit etwas Geld, was für viele in einem damals recht armen und perspektivlosen Land durchaus verlockend war. Einmal drin, schien ein Ausstieg unmöglich. Sie erzählt uns von einem Morgen als ihr Vater sie in einen kleinen Laden zum Kaffee kaufen schicke. Sie war noch ein kleines Mädchen, schätzungsweise 6 oder 7. Im Geschäft sah sie jemand am Boden liegen, viel Blut und ein paar Männer. Sie schnappte sich den Kaffee, legte das Geld hin und rannte, so schnell sie konnte, nach Hause. Sie sprach mit niemandem darüber, nicht Mal mit ihrem Vater. Dann zeigt sie uns ein Video. Es ist die Aufnahme der Sicherheitskamera eines Busses. Der Bus wird überfallen. Die Bandenmitglieder haben Waffen und bedrohen die Menschen im Bus und den Busfahrer. Sie nehmen das Geld aus der Kasse und ziehen dem Busfahrer seine Bauchtasche von den Hüften, es kommt zu einem kleinen Handgemenge und dann wird der Fahrer erschossen. Es treffen ihn mehrere Schüsse und er stirbt sofort. Gut, eine Triggerwarnung wäre hier durchaus angebracht gewesen. Nicht jeder möchte so ein Video sehen. Puh, das ist wirklich „heavy shit“.
Fatima berichtet weiter, dass die Regierung in der Vergangenheit oft Geschäfte mit den Gangs gemacht hat. Es gab keinerlei Sicherheit und Vertrauen in den Staatsapparat. Und dann kam Bukele, ein Unternehmer/Marketing-PR-Typ/Tausendsassa aus gutem Hause.
Er versprach dem Ganzen ein Ende zu setzen und jeden Kriminellen zu jagen und bis ans Ende ihrer Tage hinter Gitter zu bringen. Als er gewählt wurde, nachdem er vorher bereits Bürgermeister von San Salvador, der Hauptstadt von El Salvador, gewesen ist, verhängte er den Ausnahmezustand im Land und bezog das Militär ein. Es wurden von heute auf morgen immer mehr und mehr Menschen verhaftet. Ein Markenzeichen der Gangmitglieder sind große Tätowierungen, unter anderem im Gesicht. Tränen hat beispielsweise die Bedeutung, wie viele Menschen die Person schon auf dem Gewissen hatte. Auch dies führte dazu, dass einfach erstmal alle Leute mit Tattoos ins Megagefängnis CECOT gesperrt wurden. Bei der Anzahl der Verhaftungen könnt ihr euch sicher vorstellen, dass es weder ausführliche Ermittlungen gab, geschweige denn ein Gerichtsverfahren oder den Anspruch auf einen Anwalt. Mehr dazu später. Fatima hat ein Leuchten in den Augen, wenn sie von Bukele spricht, für sie ist er ein Held. Ein Held, der den Menschen in El Salvador ein freies Leben zurückgebracht hat. Heute kann sie sich draußen mit einer Freundin auf ein Bier am Abend verabreden. Allein durch alle Straßen laufen und man bräuchte nicht ständig mit der Angst um Familienangehörige leben. Dem Land und den Menschen ginge es seitdem besser. Der Tourismus kommt ins Land zurück, die Wirtschaftskraft wachse und endlich sterben keine Menschen mehr durch Bandenkriminalität. Auch wenn wir uns nicht vorstellen können, wie es früher war mit der Angst und der ständigen Gefahr zu leben, wir können Fatimas Haltung nachvollziehen. Für sie, ihre Familie und ihre Freunde hat sich das Leben zum Guten gewendet und sie sind mit der aktuellen Situation mehr als glücklich. Wir sehen die Dinge nun etwas anders, aus einer anderen Perspektive eben. Aber dennoch möchten wir ein paar Worte zur anderen Perspektive verlieren:
Bukele und die Macht
Klar, für viele Menschen ist die Situation in El Salvador durch das harte Durchgreifen von Bukele und dem Militär besser geworden. Dennoch verbergen sich hinter dem traumhaften Schein auch ein paar Schattenseiten. Vor allem ein Weltspiegel-Beitrag hat uns zu Beginn ins Grübeln gebracht. Er berichtet von einer Mutter, deren Sohn verhaftet und eingesperrt im Gefängnis sitzt. Er ist gerade mal 19 Jahre jung und seit der Verhaftung bangt seine Mutter um sein Leben. Sie beteuert seine Unschuld und dass er in keinerlei kriminelle Machenschaften verwickelt sei. In Zeiten von Bukeles Macht reicht nämlich oft ein anonymer Anruf, um einen Menschen zu beschuldigen. Ein Prozess, eine Verhandlung, all das ist längst nicht in Sicht. Und die Bedingungen im Gefängnis sind mehr als besorgniserregend. Aber springen wir nochmal ein paar Jahre zurück und schauen uns ein paar Zahlen an. Seit seinem Amtsantritt 2019 ging die Mordrate um mehr als 90 % zurück, von 38 auf 2,4 Tötungen pro 100.000 Einwohner:innen (das ist einfach eine unvorstellbare Zahl). Die Schutzgelderpressungen nahmen ebenso stark ab wie die Kriminalität im Allgemeinen. Die Nachbarländer blicken neidisch auf Bukele und bezeichnen ihn in der Presse als „Das Wunder“. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie die Uno aber kritisieren das System stark. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen Menschenrechtsverletzungen, willkürlichen Festnahmen sowie unfaire Gerichtsverfahren und Folter. Auch von Todesfällen in Haft wird berichtet. Dies scheint die Mehrheit der Salvadorianer:innen nicht zu stören, sie stehen hinter Bukele. Darüber hinaus nehmen viele ihn nicht als Autokraten wahr und nehmen selbst die Abschaffung der Demokratie dafür in Kauf. Seine Wiederwahl ist im Grunde genommen ein Verfassungsbruch. Die Grundrechte eines Menschen setzt er aus. Mit strukturellen Missständen wie der Armut der Menschen, schlechter Schulbildung, sozialer Ungleichheit sowie hoher Arbeitslosigkeit setzt er sich bisher kaum auseinander. Wir lesen, dass dies zu einem noch größeren Problem führen könnte: Mächtige, transnationale Drogenkartelle haben bisher einen großen Bogen um El Salvador gemacht, das könnte sich in Zukunft ändern. Und noch eine letzte Sache: Zahlen und Fakten, die El Salvador zur Bestätigung der erfolgreichen Regierung nach außen dringen lässt, sollte man etwas kritisch betrachten. Statistiken sind oft beschönigt und die Anzahl der Vermissten (oft auf Seiten des Kriminellen-Milieus) steigt.
Trotz einer eigentlich positiven Entwicklung des Landes haben wir gemischte Gefühle. Wir können uns nicht richtig positionieren (was wir ja glücklicherweise auch nicht müssen), dennoch können wir nach unserer kurzen Zeit im Land nun beide Seiten der Menschen etwas besser nachvollziehen. Wir merken besonders hier noch einmal wie wichtig es uns ist, sich mit der Geschichte und der Politik der Länder auseinander zu setzen, die wir bereisen. Wir stellen fest, dass es für uns, von der Couch, Erdnüsse futternd, in einer warmen und gut eingerichteten Wohnung in Deutschland, einfacher ist, sich eine Doku anzuschauen, sich eine Meinung zu bilden und sich für eine Seite zu entscheiden.
Und manchmal schämen wir uns dann auch ein bisschen für die Überheblichkeit des Westens: Aus unserer Position heraus ist es einfach, sich über all das zu erheben und natürlich ist es richtig, auf Missstände und Menschenrechtsverletztungen hinzuweisen. Aber andererseits haben nur die wenigsten Menschen in Ländern wie Deutschland eine Vorstellung davon, wie es ist, in solcher Angst zu leben und sich nach Einbdruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem eigenen Haus zu trauen und einfach nur darauf zu hoffen, dass kein einem ein nahestehender Mensch die Nacht nicht überlebt.
Nach den schweren Themen…
…geht es weiter mit der Tour. Wir laufen zurück zum Platz und weiter Richtung Markt. Wir sind wirklich baff, wie riesig die Avocados hier sind. Die ursprüngliche große Markthalle ist leider dem Feuer zum Opfer gefallen, daher gibt es mittlerweile zahlreiche Stände entlang der Straße. Zu guter Letzt probieren wir noch eine Art Sangria, der bei den Locals sehr beliebt ist. Dabei handelt es sich aber eher um fermentierte Früchte mit Eis und zugesetztem Zuckersirup. Etwas süßer als Sangria und keinerlei Weingeschmack, aber auf jeden Fall eine gute Abkühlung bei dem Wetter. Dann wird es Zeit sich von Fatima zu verabschieden. Wir bedanken uns, geben natürlich Trinkgeld und besorgen uns auf dem Weg nach Hause noch Tostadas und Avocados. Zuhause wollen wir uns einen kleinen Mittagssnack zubereiten.





Den Nachmittag verbringen wir wieder mit Planungen, wie wir es schaffen, innerhalb von zwei Tagen nach Roatan zu kommen. Mal wieder eine kleine Herausforderungen mit den Chickenbusses, da wir eigentlich den nächsten Touri-Spot in Cópan auslassen wollen. Wir lesen viele Blogs und vernehmen gemischte Erfahrungen mit den Chickenbus-Verbindungen. Es lässt sich zeitlich schwer planen, wie gut wir voran kommen, wie schnell wir es über die Grenze schaffen und wie weit wir generell an einem Tag kommen. Zudem sollte man im Hinblick auf die Sicherheit in Honduras beachten, nicht im Dunkeln unterwegs zu sein und gewisse Städte zu meiden. Wie so oft vertagen wir mal wieder die Entscheidung. Stattdessen gibt es noch einen schnellen und günstigen Haarschnitt für Konsti:

Letzte Toilettensituation
Noch einmal müssen wir auf dieses Thema zu sprechen kommen. Schon gestern Abend war das Badezimmer nach dem Duschen unserer Zimmernachbarin komplett unter Wasser gesetzt. Wie schafft man es, das Wasser überall zu verteilen? Anders als in Asien gibt es in diesem Bad eine richtige Dusche mit Vorhang. Das Badezimmer gleicht aber eher einem Kinderschwimmbecken. Und dann nimmt unsere Nachbarin Kontakt mit uns auf. Sie klopft (von innen) an unsere Badezimmertür. Caro versucht die Tür von der anderen Seite zu öffnen, sie ist aber abgeschlossen. Hä? Das macht keinen Sinn. Es sei denn, sie möchte sich mit Morse-Klopfzeichen verständigen. Wir klopfen zurück, sie klopft wieder und sagt etwas, dass wir nicht verstehen. Caro sagt, dass wir nichts hören und wir entweder die Tür öffnen müssen oder uns einfach draußen im Innenhof treffen können. Das machen wir dann auch. Unsere Zimmernachbarin entschuldigt sich erstmal, da sie am Anfang das Badezimmer-Prinzip nicht verstanden hat. Oh, damit haben wir nicht gerechnet. Sie vermisst Geld und hat Sorge, dass jemand vom Personal im Zimmer war. So ein Mist, wir können ihr aber leider nicht weiterhelfen und nur bestätigen, dass die neue Klopapierrolle von uns ins Bad gelegt wurde. Aber so wissen wir zumindest, dass unsere Zimmernachbarin netter als gedacht ist. Abends ist das Bad zwar wieder überschwemmt, aber gut, damit kommen wir klar.
Ein letztes Mal Pupusas
An unserem letzten Abend beschließen wir, nochmal Pupusas Essen zu gehen. Wir haben zwar noch Nudel-Reste, die wollen wir uns aber lieber für morgen aufsparen. Außerdem sind die Pupusas unschlagbar günstig. Im Trockenen schlendern wir zu Claudias Pupuseria. Der Laden bei uns um die Ecke hat leider heute wie auch gestern geschlossen. Aber bei Claudia sieht es auch ganz nett aus. Wir bestellen uns Pupusas mit unterschiedlichen Füllungen und alle sind super lecker. Wobei unser Favorit Knoblauch-Käse bleibt.


Während wir die köstlichen Pupusas schnabulieren, fängt es draußen an zu regnen. Es wird immer mehr und wir hören wir der Regen auf das Wellblechdach der Pupuseria trommelt. Hier und da regnet es sogar hinein und es fängt an, von der Decke zu tropfen. Ratet mal, wer keine Regenjacke dabei hat. Yeah, richtig. Obwohl damit nach den letzten Tagen durchaus zu rechnen war, haben wir natürlich KEINE Jacke eingepackt. Wir warten noch einen kleinen Moment und machen uns dann schnellen Fußes auf den Rückweg. Glücklicherweise haben wir immerhin, wie immer, Adiletten an.
Als wir zurück im Hostel sind, quatschen wir noch ein bisschen mit Sarah und Giovanni. Wir tauschen uns mit den beiden noch etwas aus, da kommen zwei deutsche Mädels in die Küche. Auch mit ihnen kommen wir ins Gespräch. Sie kommen gerade aus Honduras. Wir erkundigen uns über die Route, schließlich sollten wir heute wohl noch eine Entscheidung treffen. Sie haben einen Zwischenstopp in Cópan gemacht und kamen vorher aus La Ceiba, der Hafenstadt, von der aus die Fähren nach Roatan und Utila gehen. Hm gut, vielleicht sollten wir das auch einfach machen? Es gibt übrigens auch einen direkten Touristen-Shuttle. Der kostet allerdings stolze 100 Dollar. Nene, wir wagen lieber das schwitzige und ungewisse Chickenbus Abenteuer… Aber davon erzählen wir euch beim nächsten Mal.
Tschüss El Salvador
Viel gibt es dem bereits geschriebenen, insbesondere zum Teil der Freewalkingtour eigentlich nicht mehr hinzuzufügen. Unser Aufenthalt hier war kurz, aber dafür intensiv. Wir sind etwas traurig, dass wir uns nicht noch mehr vom Land anschauen können, denn auch die Küstenregion hat sicher noch einiges zu bieten. Trotzdem sind wir froh, dass wir zumindest einen ganz kurzen Zwischenstopp eingelegt haben und eine kleine Mischung aus Natur und der politischen Situation im Land mitgenommen haben. Wahnsinnig spannend und wir können am Ende sagen: El Salvador ist definitiv eine Reise wert!
Wir wünschen den Menschen hier wirklich alles Gute für die Zukunft, ein Leben in Frieden und in einer stabilen Demokratie. Den Gefangenen im Gefängnis einen fairen Prozess, menschenwürdige Haftbedingungen und vielleicht auch irgendwann wieder ein Leben in Freiheit. Sogleich wir wissen, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall sein wird.